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Wenn das Ego um Freiheit kämpft

Es ist eines der größten Gegensätze unserer menschlichen Existenz: Wir wollen frei sein, innerlich und äußerlich, und doch bauen wir uns Mauern, Gitter, ganze Festungen aus Schutzstrategien, Überzeugungen und Selbstbildern. Unser Ego, dieses Ich-Konstrukt, das aus Verletzungen, Prägungen und alten Entscheidungen entstanden ist, verspricht uns Schutz, Sicherheit und Kontrolle. Doch was es uns wirklich gibt, ist Trennung. Trennung von anderen, Trennung vom Leben und, am schmerzhaftesten , Trennung von uns selbst.

Das Ego arbeitet mit Strategien. Es hat gelernt: Wenn ich stark bin, kann mich keiner verletzen. Wenn ich perfekt bin, werde ich geliebt. Wenn ich immer zuerst angreife, kann ich nicht mehr verletzt werden. Diese inneren Programme laufen oft unbewusst ab, sind aber wie ein Betriebssystem, das unser Fühlen, Denken und Handeln bestimmt. Wir halten sie für uns selbst. Dabei sind sie nur ein Teil von uns, ein Teil, der einst aus Not geboren wurde.

Stell dir Anna vor. In ihrer Kindheit wurde sie oft übersehen. Ihre Bedürfnisse wurden nicht wirklich wahrgenommen, ihre Gefühle galten als zu viel. Irgendwann zog sie daraus eine kindliche, aber überlebenswichtige Schlussfolgerung: Ich bin nur dann etwas wert, wenn ich stark und unabhängig bin. Ich darf nichts brauchen. Diese Überzeugung wurde zu ihrer inneren Wahrheit. Und das Ego spannte sich darum wie ein Leibwächter: Kein Schwäche zeigen. Immer funktionieren. Bloß keine Nähe zulassen, die etwas fordern könnte.

Heute ist Anna eine erfolgreiche Frau, nach außen souverän, im Innern aber einsam. Ihre Beziehungen scheitern oft, denn sie kann Nähe nicht halten. Sobald jemand ihr zu nahekommt, meldet sich ihr Ego: Pass auf! Das wird gefährlich! Und sie zieht sich zurück, reagiert kühl, unabhängig, oder verlässt die Beziehung. So schützt sie ihre alte Wunde, aber sie wiederholt sie auch. Immer wieder.

Der Preis ist hoch.

Das Ego will im Recht sein, und es ist bereit, viel dafür zu opfern. Beziehungen, Lebendigkeit, Intimität, die Fähigkeit, sich berühren zu lassen. Es ist wie ein König, der sein Reich verteidigt, ohne zu merken, dass es längst nur noch ein leeres Schloss ist, in dem er allein wohnt.

Der größte Irrtum des Egos ist: Ich werde frei sein, wenn ich alles unter Kontrolle habe.

Doch Kontrolle ist nicht Freiheit. Kontrolle ist Angst, die sich tarnt.

Wahre Freiheit beginnt dort, wo wir den Mut haben, die Strategien des Egos zu hinterfragen. Wo wir innehalten und uns fragen: Wann habe ich begonnen, so zu funktionieren? Was habe ich damals geglaubt? War es wirklich wahr?

Und wenn wir den Mut haben, an diesen Punkt zurückzugehen, dorthin, wo die Verletzung geschah und das Missverständnis entstand, können wir heilen. Wir erkennen: Ich musste mich schützen, ja. Aber heute bin ich erwachsen. Ich darf fühlen. Ich darf zeigen, was ich brauche. Ich darf lieben, auch wenn das Risiko birgt.

In dem Moment, in dem das Missverständnis entlarvt wird, bricht eine Kette. Und mit jeder gelösten Kette wächst der Raum in uns, der echt ist. Der fühlt. Der lebt. Der liebt.

Das Ego ist kein Feind. Es ist der Wächter der Vergangenheit, ein Echo aus längst vergangenen Tagen und nicht mehr existent, nur noch da weil wir daran festhalten. Doch wenn es die Führung übernimmt, wird unser Leben eng. Befreiung geschieht, wenn wir bereit sind, das Ego nicht länger als Steuermann zu wählen, sondern ihm danken und selbst das Ruder in die Hand nehmen. Nicht gegen das Ego, sondern tiefer als es. Dort, wo wir ganz sind. Und frei.

ree

 
 
 

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