„Wie kannst du nur…“
- Tom & Alex
- 24. Mai
- 2 Min. Lesezeit
Es gibt Momente, da verstehen wir einen geliebten Menschen nicht mehr. Wir sehen ihn handeln, sprechen, leben und können nicht begreifen, warum. Es verletzt uns vielleicht nicht nur, es erschüttert uns. Es fühlt sich an, als würde er sich entfernen, als würde etwas zerbrechen zwischen uns.
Und so reagieren wir. Mit Unverständnis. Mit Ratschlägen, die helfen sollen, aber nicht gehört werden. Mit Tadel, mit kalter Ablehnung oder hitziger Wut. „Wie kannst du nur…?“ ist oft der stille oder laute Vorwurf. Dahinter aber liegt etwas Tieferes, etwas viel Zerbrechlicheres als es scheint: Angst.
Angst, diesen Menschen zu verlieren. Angst, dass die Verbindung nicht mehr hält. Angst, dass sich eine Geschichte wiederholt, die wir einst nicht oder fast nicht überlebt haben, emotional, vielleicht sogar physisch. Vielleicht haben wir schon einmal jemanden verloren, der uns wichtig war. Vielleicht hat uns ein geliebter Mensch einst enttäuscht, verlassen, verraten. Und nun, im Verhalten dieses Menschen, öffnet sich eine alte Wunde. Unbewusst.
Doch was auch immer dieser Mensch tut, er kann unsere Angst nicht heilen. Wir verlangen etwas Unmögliches: Dass der andere unser inneres Loch stopft, unsere Unsicherheit beruhigt, unsere Geschichte ungeschehen macht. Doch kein anderer kann das tun. Selbst wenn dieser Mensch sich verändert, selbst wenn er unser Urteil plötzlich erfüllt, die Angst bleibt. Sie wird nur stumm, bis der Nächste sie wieder anrührt.
Die Heilung beginnt in uns.
Wenn wir den Mut haben, unter unser Urteil zu tauchen, finden wir Schmerz. Und wenn wir noch tiefer tauchen, finden wir unsere eigene Verletzlichkeit. Dann erkennen wir, dass unsere Reaktion nie nur dem Anderen galt, sie galt vor allem unserem eigenen alten Schmerz.
Und in dem Moment, in dem wir das erkennen, öffnet sich etwas. Raum für Liebe. Nicht die Liebe, die Bedingungen stellt. Sondern jene Liebe, die nichts mehr braucht, weil sie aus der Quelle kommt, nicht aus dem Mangel. Dann können wir beginnen, den Anderen zu sehen, wie er ist. Nicht wie wir ihn brauchen.
Diese bedingungslose Sicht ist kein Verzicht, sondern ist ein Geschenk. Denn sie macht uns fähig zur echten Verbindung. Eine Verbindung, die nicht kontrolliert, sondern verstehen will. Einer Liebe, die nicht bindet, sondern befreit. Und in dieser Freiheit geschieht das Wunder. Auch der Andere kann sich zeigen. Authentisch. Ungeschützt. Berührbar.
So erhebt sich nicht nur der Eine. Sondern beide.
Denn wahre Liebe ist kein Tauschgeschäft. Sie ist eine Entscheidung. Eine Bewegung aus der Angst in die Hingabe. Aus dem Urteil in die Verbundenheit. Aus dem alten Schmerz in die neue Freiheit. Und diese Entscheidung verändert alles.

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