Das Tor
- Tom & Alex
- vor 4 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Manchmal im Leben geraten wir in Situationen, die sich zunächst wie Zumutungen anfühlen – wie ein Erdbeben im Inneren, das alles ins Wanken bringt, was wir bislang für sicher hielten. Diese Momente treffen uns nicht selten unvorbereitet. Ein Gespräch, ein Abschied, ein neuer Mensch, eine unvorhergesehene Wende – und plötzlich sind sie da: die roten Knöpfe, unsere Triggerpunkte, die wunden Stellen in unserer Seele, an denen unsere alten Geschichten beginnen zu sprechen.
Wir alle tragen Selbstbilder in uns – Vorstellungen davon, wer wir sind, wie das Leben zu sein hat, wie Menschen sich verhalten sollten. Diese inneren Landkarten geben uns Orientierung, aber sie sind nicht die Wirklichkeit. Vielmehr sind sie unsere Interpretation der Wirklichkeit, geprägt von Erfahrungen, Verlusten, Schutzmechanismen.
So bauen wir unser kleines Reich – ein Leben, das wir mit aller Kraft kontrollieren wollen. Auch wenn es auf eine Weise „gefangen“ ist, haben wir es eingerichtet. Mit Farben, mit Ritualen, mit Annahmen über uns selbst und die Welt. Wir sagen uns: „So ist das Leben eben.“ Und: „Ich komme klar.“
Wir haben gelernt, uns mit dem Schmerz der Vergangenheit zu arrangieren – mit Enttäuschungen, mit Verletzungen, mit Trennungen. Und in diesem Arrangement liegt eine tiefe Sehnsucht nach Sicherheit – nach einem Frieden, der jedoch nicht echt ist, sondern nur das Vermeiden weiterer Erschütterung.
Doch manchmal zeigt sich das Leben gnädig. Es öffnet einen Spalt im Vorhang. Eine kleine Lücke, durch die mehr Licht fällt als gewöhnlich. Und wir sehen plötzlich klarer – vielleicht nur für einen Moment.
Wir erkennen, dass nicht alles so war, wie wir es uns zurechtgelegt haben. Dass wir vielleicht einen Anteil hatten an dem, was wir als Schicksal erlebt haben. Dass unsere Angst, uns ganz zu zeigen, vielleicht zur Distanz geführt hat.
Vielleicht wollten wir uns schützen. Vielleicht dachten wir, es sei sicherer, sich nicht völlig hinzugeben. Und plötzlich stehen wir vor einer Trennung, die wir eigentlich vermeiden wollten – nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich: eine Trennung von einem Teil unseres Herzens.
Was danach bleibt, ist nicht nur Schmerz. Es bleibt auch etwas Unausgesprochenes. Ein leiser Schatten von Schuld – oft unbewusst.
Dieses Gefühl, nicht genug geliebt, nicht genug gegeben zu haben. Und es kann sich wie ein Schleier über unsere künftigen Beziehungen legen. Wir gehen nicht mehr ganz hinein, bleiben vorsichtiger, misstrauischer. Die Mauer, die wir einmal aus Selbstschutz errichtet haben, ist inzwischen Teil unserer Architektur geworden.
Und so verwechseln wir manchmal emotionale Überforderung mit Schutz.
Wir sagen: „Ich kann das nicht.“ Aber was wir wirklich meinen, ist: „Ich fürchte, wenn ich ganz da bin, werde ich verletzt.“
Doch Liebe verlangt Ganzheit. Sie verlangt keine Perfektion, aber sie will unsere volle Präsenz.
Sich wieder einzulassen – mit offenem Herzen, mit einem „Ja“ zur eigenen Verletzlichkeit – ist der Weg zurück zu erfüllten Beziehungen.
Geistige und emotionale Überforderung entsteht oft dann, wenn das Bild, das wir von uns oder der Welt hatten, nicht mehr trägt – und ein neues sich noch nicht geformt hat.
Es ist der Raum dazwischen, der uns aufwühlt.
Aber dieser Raum ist auch ein Tor.
Wenn wir bereit sind, das Alte loszulassen – nicht wegzuwerfen, sondern zu entlassen – dann öffnet sich etwas. Dann wird aus der Überforderung eine Einladung.
Dann können wir wieder lernen, mit einem weichen Herzen zu leben, das nicht kontrolliert, sondern vertraut.
Denn Liebe ist kein Tauschhandel. Liebe ist ein Geschenk.
Wenn wir lieben wollen, sind wir aufgerufen, Liebe zu geben – nicht um sie zu bekommen, sondern weil wir die Quelle sind.
Wir sind selbst die Veränderung, die wir uns für diese Welt wünschen.
Nicht durch Macht, sondern durch Herz.
Nicht durch Kontrolle, sondern durch Hingabe.
Und vielleicht ist genau das der tiefste Sinn dieser Erschütterungen:
Dass sie uns zurückführen.
In die Wahrheit.
In die Liebe.
In uns selbst.

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