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Herzöffung

In jungen Jahren verlieben wir uns oft mit einer Intensität, die uns den Atem raubt. Da sind diese Schmetterlinge im Bauch, das Kribbeln bei jeder Berührung, das Hochgefühl, das alles andere vergessen lässt. Wir glauben, den Menschen gefunden zu haben, mit dem wir unser Leben teilen wollen. Alles scheint möglich, alles fühlt sich richtig an. Das Herz ist offen, weit, verletzlich – aber voller Vertrauen.

Doch dann, fast unmerklich, beginnt sich etwas zu verändern. Nicht von heute auf morgen, sondern langsam, fast schleichend. Die Nähe, die einst selbstverständlich war, weicht einer subtilen Distanz. Gespräche werden oberflächlicher, Berührungen seltener, und der Alltag rückt näher, während die Verbindung, die einst wie Magie war, sich leise zurückzieht. Irgendwann steht man da, die Beziehung beendet – mit einem gebrochenen Herzen, mit Fragezeichen im Blick und der stillen Frage: Was ist passiert?

Wir trauern, wir kämpfen innerlich, vielleicht beschuldigen wir, vielleicht klammern wir, vielleicht ziehen wir uns zurück. Und irgendwann – nach Wochen, Monaten oder sogar Jahren – wächst Gras über den Schmerz. Es bleibt eine Narbe, aber wir gehen weiter.

Ein neuer Partner tritt in unser Leben. Und mit ihm ein neues Versprechen: Diesmal soll alles anders werden. Wir glauben, gelernt zu haben. Wir sind vorsichtiger, abgeklärter – wir nennen es reifer. Doch was wir in Wahrheit oft tun: Wir halten unser Herz zurück. Nicht viel, nur ein kleines Stück, gerade so, dass wir uns sicher fühlen.

Und mehr noch: Wir bringen etwas mit – den Schmerz der alten Wunde. Vielleicht haben wir ihn nie ganz angeschaut, nie wirklich durchfühlt, sondern nur tief in uns vergraben. Aber er ist noch da. Und so tragen wir ihn mit in die neue Beziehung. Und auch wenn wir es nicht bewusst wollen – manchmal lassen wir den neuen Partner spüren, was der alte uns angetan hat. Durch kleine Spitzen, durch Misstrauen, durch Rückzug. Durch scheinbar beiläufige Bemerkungen oder durch übertriebene Sensibilität in bestimmten Momenten. Unbewusst versuchen wir, uns zu schützen – und strafen dabei den Falschen für das, was der Richtige hätte sein sollen.

Die neue Beziehung wird so zur Bühne für alte Verletzungen. Wir lieben – aber mit angezogener Handbremse. Wir geben – aber nur dosiert. Und die Beziehung? Sie läuft. Nicht schlecht, nicht besonders gut – sie läuft eben. Keine grossen Dramen, keine euphorischen Höhen. Sicherheit statt Leidenschaft. Stabilität statt Tiefe.

Und dann, eines Morgens, ist da diese leise Frage: Ist das alles? Etwas in uns beginnt zu rebellieren. Wir spüren, dass wir in einer Hülle leben – einer Beziehungshülle, vielleicht sogar einer Lebenshülle. Und wenn wir ehrlich sind, dann erkennen wir: Wir haben nicht nur unseren Partner auf Abstand gehalten, sondern auch uns selbst. Wir wollten nicht mehr verletzt werden – und haben uns dadurch selbst vom Leben abgeschnitten.

Diese stille Entscheidung, sich nicht mehr ganz einzulassen, war ein Schutzmechanismus. Und vielleicht war sie sogar notwendig. Aber sie war auch ein Verrat an unserer Essenz. Denn das Leben, das sich in uns entfalten will, kennt keine Halbschatten. Es will Tiefe. Es will Echtheit. Es will Offenheit – mit allen Facetten.

Wenn wir beginnen, diesen Selbstschutz zu erkennen – nicht mit Vorwürfen, sondern mit Mitgefühl –, dann öffnen wir die Tür zur Heilung. Dann können wir uns selbst verzeihen: Für die Mauern, die wir gebaut haben. Für die Liebe, die wir zurückgehalten haben. Für die Angst, die wir nicht aussprechen konnten. Und auch für die alten Enttäuschungen, die wir weitergegeben haben, obwohl sie gar nicht zum neuen Menschen gehörten.

Und genau in diesem Moment, wenn das Herz wieder weich wird, wenn die Tränen kommen dürfen, wenn wir nicht mehr kämpfen – dann geschieht etwas Wunderbares:Wir kommen heim. Zu uns. Zum Leben.

Und nur von diesem Ort aus – offen, verletzlich und zugleich getragen – können wir echte Verbundenheit wieder erfahren. Nicht die perfekte Liebe. Sondern die echte. Die lebendige. Die, die uns wachsen lässt.

Denn wir sind nicht hier, um sicher zu sein.Wir sind hier, um lebendig zu sein.

Und das beginnt immer mit einem offenen Herzen.



 
 
 

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